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Von Heinrich Deisl.

Liebeslieder, so unvergänglich wie die Liebe selbst

Pure Dianne Reeves

<Ein Porträt. Die amerikanische Sängerin Dianne Reeves verleiht mit ihrer warmen Stimme alten Jazz-Standards jene Frische, die sie immer wieder aufs Neue aktuell macht. Ihre aktuelle CD »A Little Moonlight« legt davon beredtes Zeugnis ab.

Sie betritt nicht einen Raum. Dianne Reeves erscheint. Das macht sie derart unprätentiös, dass einfache Sportschuhe und ein enger Jeansrock reichen, um ihre Umgebung einen kurzen Moment innehalten zu lassen.
Sie hat in ihrer Jugend alle möglichen Musikstile afroamerikanischen Ursprungs gehört und ist dem aus der Gospelmusik entstammenden Schema des „Call and Response“ treu geblieben: Sie „plaudert“ sozusagen mit ihren Mitmusikern, während sie singt. „Musik zu machen und zu hören ist für mich eine sehr intime, eine sehr spirituelle Angelegenheit. Daher möchte ich all die positive Energie, die ich beim Komponieren habe, dem Publikum zurückgeben.“
Dianne Reeves stammt aus einer hochmusikalischen Familie. Ihr Onkel Nat Reeves, selbst ein hochangesehener Jazzmusiker, brachte die 1956 in Detroit geborene und in Chicago aufgewachsene Reeves in ganz jungen Jahren dazu, eine klassische Jazzgesangsausbildung anzutreten. Als Mitglied der African Methodist Episcopal Church sang sie Gospel, inkorporierte zur selben Zeit die europäische Schule der Musik, sang Madrigale und daneben liefen auf dem Plattenteller bei ihr Zuhause aktuelle Pop-Nummern. Motown-Produktionen waren angesagt. „Wir haben Disco und HipHop noch ‚live’ mitbekommen. Disco hat mir allerdings nicht sonderlich gefallen, da es dabei keine großen Rhythmus-Variationen gab. Außerdem war der Live-Aspekt, die Improvisation mit der Stimme, von Anfang an wichtigster Bestandteil meiner Arbeit.“
Nachhaltige kreative Impulse in den frühen 80ern lösten die Tournee mit dem brasilianischen Swing-Meister Sergio Mendes und ihr Aufenthalt in New York aus. Dort nahm sie für ihr Debüt „Welcome to My Love“ (Palo Alto Jazz, 1982) den Rhythmus der Stadt in sich auf und ließ dezent HipHop-Elemente in den Gesang einfließen. Es bedeutete eine tiefgreifende Entwicklung für ihre weitere Karriere, als sie 1987 von Bruce Lundvall, seines Zeichens Präsident von Blue Note Records, fix gesignt wurde. Seither veröffentlichte sie mehr als die Hälfte ihres mehr als 20 Veröffentlichungen umfassenden Werks für das renommierte New Yorker Label.

Pop-Visionen und Vorbilder

Mit wem sie denn gerne zusammenarbeiten würde? Dass die Reeves sich ebenso viel mit aktueller Popmusik auseinander setzt, wird klar, als sie, wie aus der Pistole geschossen, zur Antwort gibt: „Andre 3000 von der Gruppe Outkast. Man hört, dass diese Band über ihre Wurzeln sehr gut Bescheid weiß. Ich finde es überhaupt sehr wichtig, seine musikalische Herkunft zu kennen. Auf ihr baut man letztlich auf und man versteht in Folge den eigenen musikalischen Weg besser.“
Immerhin hat Reeves 2001 mit ihrem vorletzten Album „The Calling“ (Blue Note Rec.) eine Hommage an die von ihr verehrte Sarah Vaughan abgeliefert und auch bei der neuen CD „A Little Moonlight“ stehen Neuinterpretationen alter Jazzstandards im Vordergrund. Auf „Moonlight“ geht es mit rein akustischer Instrumentierung sehr entschlackt zur Sache. Eingespielt mit ihrer Lieblingsband mit Peter Martin (Piano), Reuben Rogers (Bass) und Gregory Hutchinson (Drums), kommen die Nummern durch Reeves’ weiche Alt-Stimme einmal mehr zur vollen Geltung, wenn sie sich durch die Neuinterpretationen von „I Concentrate on You“ (Cole Porter), „Skylark“ (Hoagy Carmichael) und der schon von Billie Holiday und der Disco-Queen Diana Ross gesungenen – und in den zwanziger Jahren von Harry M. Woods komponierten – Titelnummer der CD singt. Dabei erreicht sie eine derartige emotionale Tiefe, dass sie 2003 die gestrenge Jury des Grammy-Awards überzeugen und sie sich über die Auszeichnung „Best Jazz Record of the Year“ freuen konnte. Nun hat Dianne Reeves drei Grammys Zuhause stehen.
Aber Dianne Reeves ist darüber hinaus eine Künstlerin, die sich auf der Bühne glamourös zu inszenieren weiß. Am Abend des Auftritts im Wiener Konzerthaus ist Dianne Reeves dementsprechend in ein leger-elegantes Abendkleid gehüllt, so wie es die Etikette verlangt. Dazu exquisite rote Stöckelschuhe, von denen Charly Parker bekanntermaßen immer schon geträumt hatte. Dianne Reeves ganz Diva. „Ich liebe solche weiblichen Abendkleider. Eine bevorzugte Modemarke leiste ich mir nicht, das kompensiere ich dafür mit einer ausgiebigen Schuhsammlung von mindestens 200 Paaren.“ Sie wirft kokett den Kopf in den Nacken. „Ich liebe einfach Schuhe.“ Und dann wird die Reeves auch einmal resolut: „Auch wenn unsere Bandstruktur sehr offen ist, die ‚Bienenkönigin’, die bin ich. Es ist meine Band und ich bin sehr stolz auf sie. Und wissen Sie, was? Ich stehe total darauf, ein gemeinsames Abendessen mit meinen Leuten vor dem Konzert zu zelebrieren.“

Keep it simple, keep it real

Ihre Tagesgestaltung ist indes weniger spektakulär als man meinen möchte. Unbeschwerter lebt es sich so auch, denn eine wie die Reeves braucht nach so vielen Jahren knochenharten Trainings keine täglichen Übungsstunden mehr zu absolvieren. Ansonsten versucht sie sich in einem möglichst gesunden Lebenswandel. „Ich gehe so oft wie möglich zum Fitnesstraining, weil es mir das Gefühl gibt, nicht nur physisch, sondern auch mental stärker zu werden.“ Das hat sie mit den jungen Rapperinnen der MTV-Generation gemein.
Schließlich ist Ms Reeves auch eine, die sich als politische Person sieht. „In der aktuellen Situation möchte ich die Menschen, und vor allem die afroamerikanischen Frauen, dafür sensibilisieren, wie wichtig es ist, dass sie wählen gehen. Sie sollen von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen, für das so viele in der Vergangenheit so intensiv gekämpft haben. Ich habe den Krieg gegen den Irak nicht unterstützt. Meine Leute sind von der amerikanischen Regierung stark verunsichert worden.“
Ihr Gebot gegen die Feindseligkeiten des Alltags wird gleich zu Beginn von „A Little Moonlight“ dargelegt: Reeves stimmt auf „I Want Loads of Lovely Love“ von Richard Rodgers einen beschwingten Lobgesang auf die Liebe an. Davon hat man ewig gesungen und davon wird man ewig singen. Aber nur wenige erreichen dabei ein derart emotionalisierendes und stimmiges Gefühl wie die Reeves.



Dianne Reeves, „A Little Moonlight”, Blue Note Records 2003. Vertrieb: EMI.

Artikel erschienen in: REPORT. Magazin für Kunst und Zivilgesellschaft in
Zentral- und Osteuropa,April 2004
> Link:REPORT online > Link: Diane Reeves- > Link: Blue Note Records- > Link: Motown.com- > Link: EMI Group-